Leseprobe
Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel

1900
 König Milan von Serbien weilt lieber 
im Sacher als daheim

Die Verwilderung und Verdummung, die jetzt herrschen, sind notwendig. Die Menschen müssen zu dem Weltkrieg, der bevorsteht, präpariert werden. Zu dem gegenseitigen Auffressen schärft man sich jetzt die Zähne.
Marie von Ebner-Eschenbach 1899 zu Josef Breuer

Der Portier hatte Anna Sacher sofort rufen lassen, als das Paar das Hotel betrat und die gesamte Beletage auf unabsehbare Zeit zu mieten wünschte.

Ich kenne das Haus, hatte der Herr zu der Dame gesagt, die keine wirkliche Dame war, das sah man sofort. Doch wer war der Herr? Während er ein zuvorkommendes, wenn auch vages »zu Diensten« nuschelte, versuchte er angestrengt, sich zu erinnern. Das durfte ihm, dem neuen Portier des Hotel Sacher, nicht passieren, noch dazu bei jemandem, der das Hotel offenbar wie seine eigene Westentasche zu kennen schien.

Komm, ich zeig dir’s, sagte der Herr, nahm die Schöne am Arm und war, ohne den Portier weiter zu beachten, Richtung großer Stiege entschwunden.

Verzeihen, das Gepäck … Mögen die Herrschaften? Doch es war umsonst. Schnell winkte Sebastian Mayr einen Zimmerkellner herbei, der den Gästen folgen sollte. Danach schickte er den Pagen rasch in Annas kleines Büro, um die Chefin zu holen.

Die Herrschaften sind gleich nach oben gegangen. Sie wollen die Beletage – die ganze.

Die ganze?, fragte Anna ungläubig.

Die ganze.

Und die restlichen Gäste?

Der Herr schien sich auszukennen, verzeihen, gnädige Frau, mir ist entfallen … Mayr kam ins Stottern.

Schon gut, Sebastian. Könnt ja sein, dass Sie damals noch Page waren, als der Herr das letzte Mal da war, beruhigte ihn Anna Sacher. Sie nannte den neuen Portier oft bei seinem Vornamen, weil er noch fast als Kind ins Sacher kam.

Ja, trotzdem, gnädige Frau.

Anna eilte den Gästen hinterher. Schon von der Stiege aus hörte sie das aufgesetzte Lachen der Dame. Ihr Französisch war schlecht und mit irgendeiner südslawischen Sprache und Deutsch zu einem kruden Kauderwelsch geronnen.

Kako ružno! Un peu simple, nicht wahr, chéri? Wie sehr Anna die Leute hasste, denen das Sacher nicht gut genug war. [...]