Leseprobe
Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel

1902
 Gustav Klimt bringt Auguste Rodin im 
Sacher-Garten ins Schwärmen

Ihr seid Fabrikanten, wir wollen Maler sein! Das ist der ganze 
Streit. Geschäft oder Kunst, das ist die Frage unserer Secession. 
Sollen die Wiener Maler Industrielle bleiben, oder ist es ihnen 
erlaubt, Künstler zu werden? Wer der Meinung ist, dass Bilder 
Waren sind wie Hosen oder Cigarren, der bleibe in der »Genossenschaft«. Wer malend oder zeichnend die Gestalten seiner Seele 
offenbaren will, der wird zur »Vereinigung« gehen.
Hermann Bahr: Unsere Secession (Mai 1897)

»Liebe E, kann leider heute nicht kommen, bin um fünf im Sacher-Garten im Prater – müsste nur sein, dass die Geschichte bald aus ist …«, schrieb Gustav Klimt noch kurz an Emilie Flöge, seine Muse und Lebensgefährtin, übergab das Billet dem Boten und machte sich auf den Weg in den Prater. Berta Zuckerkandl hatte eingeladen. Die Frau des bekannten Anatomen Emil Zuckerkandl und Tochter des Tagblatt-Chefredakteurs Moritz Szeps war die Grande Salonnière der Künstler und Intellektuellen der Wiener Jahrhundertwende. Und wenn die Kunstkritikerin trommelte, kamen alle.

Es war ein warmer, wolkenbedeckter Frühsommertag, der Jasmin blühte, sein schwerer Duft vermischte sich mit dem der Fiakerpferde auf der Prater-Hauptallee. Die Einladung war der gesellschaftliche Höhepunkt von Auguste Rodins Besuch in Wien. [...]